Vom Opa mit 88 bis zur Enkelin mit 12Bocholter Pilger erreichen Wallfahrtsort Kevelaer

Auf dem Weg nach Kevelaer: Erich Kempkes läuft den Weg mit seinen 88 Jahren jedes Jahr. Seine Enkelin Ylva ist mit ihren 12 Jahren die jüngste Teilnehmerin.

Es ist 6.15 Uhr am Samstagmorgen (23. August), als sich viele Schritte über das Pflaster des Bocholter Georgsplatzes legen. Ein feiner Morgennebel liegt über der Stadt, die Glocken von St. Georg läuten den Beginn eines besonderen Weges ein.

Rund 500 Pilger sind gekommen, um sich gemeinsam auf den 52 Kilometer langen Weg nach Kevelaer zu machen – so wie es die Bocholter seit fast 300 Jahren tun. In diesem Jahr ist es bereits die 292. Auflage der traditionsreichen Wallfahrt.

Heinz Schmeink aus Mussum ist seit Jahrzehnten Teilnehmer der Wallfahrt. Seit 8 Jahren fährt er den Traktor mit den Gepäckstücken

Gepäck verladen

Schon eine halbe Stunde zuvor herrscht reges Treiben. Das Gepäck wird auf die Begleitfahrzeuge verladen, Traktoren warten auf die Taschen und Koffer, damit die Pilger unbeschwert gehen können. „Es ist jedes Jahr dasselbe Ritual, und doch immer wieder ein besonderer Moment“, sagt ein Mitpilger, der seit den 1970er-Jahren regelmäßig dabei ist.

Angeführt wird die diesjährige Prozession von einem alten Bekannten: Pfarrer Dietmar Heshe. Der gebürtige Holtwickler, heute in Alpen tätig, hat viele Jahre selbst als Pilger teilgenommen. Nun leitet er die geistliche Seite der Prozession unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“.

Beten, Singen, Gemeinschaft

Schon kurz nach dem Start über die Ravardistraße hinaus aus Bocholt formiert sich der lange, menschliche Zug. Betend, singend, im Rhythmus der Schritte. Wer zum ersten Mal dabei ist, staunt, wie sich aus hunderten Einzelstimmen ein Klangkörper bildet, der den ganzen Weg trägt. „In Liedern klingen die Kirchenglocken“, beschreibt eine Pilgerin, und tatsächlich: Die Musik, die Gebete und die Gemeinschaft geben dem Marsch einen eigenen Herzschlag.

Das Wetter ist ideal: nicht zu heiß, keine drückende Sonne. Über Empel, Niedermörmter und Marienbaum geht es weiter, bis die Gruppe den Reichswald und schließlich Winnekendonk erreicht.

Vom Ältesten bis zur Jüngsten

Besonders bewegend sind die persönlichen Geschichten. Erich Kempkes, 88 Jahre alt, ist der älteste Teilnehmer. „Es ist ein Wunder“, sagt er. Sein Bruder und sein Vater starben beide mit nur 49 Jahren. „Ich bin dankbar, dass ich hier noch gehen darf.“ An seiner Seite läuft seine Enkelin Ylja, gerade einmal zwölf Jahre alt – die jüngste Teilnehmerin. Zwei Generationen, die gemeinsam ein Stück Glauben und Familientradition leben.

In Marienbaum gibt es am frühen Nachmittag eine große Rast. Eine Stunde lang ruhen die Pilger im Schatten, stärken sich mit Brot, Gulaschsuppe und Obst. Manche suchen in der Kirche ein stilles Gebet, andere breiten einfach ihre Picknickdecken aus. Das ist der Moment, an dem man merkt, dass man es schaffen kann. Manche stoßen hier auch erst dazu, weil ihnen die gesamte Strecke zu weit ist.

Auf dem Traktor

Mit dem Kreuz an der Spitze pilgerten die Wallfahrer in einem langen Zug nach Kevelaer. Hier sind sie in der Nähe von Marienbaum

Wer zwischendurch eine Pause braucht, findet Hilfe. Seit acht Jahren tuckert Heinz Schmeink mit seinem Traktor hinter der Gruppe. Er transportiert das Gepäck, nimmt erschöpfte Pilger auf und bringt sie ein Stück weiter. „Früher bin ich jahrzehntelang selbst gegangen“, erzählt er. „Heute helfe ich so, und das fühlt sich genauso richtig an.“ In diesem Jahr gibt es nur wenige, die den Fahrdienst in Anspruch nehmen. „Bei Temperaturen über 30 Grad fahren mehr mit“, sagt er schmunzelnd.

Feierlicher Einzug

Kurz vor 20 Uhr erreichen die Pilger Kevelaer. Glocken läuten, Passanten bleiben stehen, applaudieren, Angehörige laufen den Pilgern entgegen. In der Basilika wird der Tag mit einem Gottesdienst beschlossen. Am Sonntagmorgen geht es mit der Pilgermesse um 8.15 Uhr weiter, um 10.30 Uhr folgt der Kreuzweg, am Nachmittag die Jubilar­ehrung. Den Abschluss des Tages bildet die stimmungsvolle Lichterprozession um 20.30 Uhr, bei der hunderte Kerzen die Basilika in warmes Licht tauchen.

Für viele Pilger gehört es dazu, nach dem Einzug eine Kerze anzuzünden. Manche tun es im Gedenken an Angehörige oder Freunde, die verstorben sind, andere für Menschen, denen es gerade nicht gut geht – oder für Mitpilger, die in früheren Jahren dabei waren, nun aber nicht mehr mitlaufen können. Diese stillen Momente geben der Wallfahrt eine Tiefe, die weit über das körperliche Gehen hinausgeht.

Dank an die Polizei

Ziel der Wallfahrt nach Kevelaer: Das kleine Gnadenbild der Muttergottes, ein kleiner fast unscheinbarer Kupferstich, ist durch ein Fenster in der Kapelle zu sehen

Nicht nur die Pilger erhalten Applaus. Auch die Polizei, die den ganzen Tag Straßen und Kreuzungen gesperrt hat, wird beim Einzug in Kevelaer ausdrücklich bedacht. „Großes Danke“, ruft einer, und viele Pilger klatschen. Die Beamten wirken sichtlich berührt von so viel Dankbarkeit.

Am Montagmorgen um 5 Uhr beginnt der Rückweg mit einer Pilgermesse in der Basilika. Um 6.30 Uhr treten die Pilger den Heimweg an – mit einer Besonderheit: Erstmals findet die Andacht mit Kerzenopfer in Marienbaum auf dem Rückweg statt. Wenig später überqueren die Pilger den Rhein mit der Fähre bei Rees, was die Strecke um fast drei Kilometer verkürzt. Gegen 19.30 Uhr werden sie schließlich wieder in Bocholt erwartet, wo sie feierlich in die St.-Georg-Kirche einziehen.

Quelle: BBV vom 24.08.2025

Autor: Stefan Prinz