Lieber Herr Probst Stefan Notz, Herr Diakon Arnold Dormann, Herr Pfarrer Andreas Hagemann, Herr Pfarrer Diethmar Heshe, liebe Pilgerinnen und Pilger, liebe Mitglieder der Pfarrgemeinde.

Ich möchte zu Beginn des Festaktes zum 450-jährigen Wallfahrtsjubiläum Bocholt – Marienbaum hier alle ganz herzlich begrüßen.

Vor fast 600 Jahren begann mit dem Traum eines gelähmten Hirten die Wallfahrt nach Marienbaum.  Viele der uns bekannten Wallfahrtsorte haben ihren Ursprung in ähnlichen Geschehnissen.

Das Pilgern selbst hat aber eine noch längere und bewegte Geschichte, die bis in die Antike zurückreicht. Menschen haben sich schon immer auf den Weg gemacht, um heilige Stätten zu besuchen, um Buße zu tun, um Heilung von Krankheit zu erfahren, um ein Gelübde zu erfüllen oder um einfach Gott ein Stück näher zu kommen. Die Pilgerfahrt, in der Antike bis zum Mittelalter oft ein sehr langer und beschwerlicher Fußmarsch zu den großen Pilgerzentren Santiago de Compostela, Jerusalem oder auch Rom sind nur einige Beispiele für die tief verwurzelte Tradition des Pilgerns. Aber auch die vermeintlich kleineren Wallfahrtsorte am Niederrhein wie Marienbaum, Kevelaer oder auch Ginderich haben schon früh viele Menschen in ihren Bann gezogen.

Das Pilgern war sicher nicht immer nur von positiven Erfahrungen geprägt. In der Geschichte wurden die Pilger oft als Bettler angesehen und es gab Zeiten in denen sie auf ihren Reisen ausgeraubt oder sogar um Leib und Leben fürchten mussten. Eine weitere dunkle Episode im Pilgerwesen der früheren Zeit ist der Aberglaube und der Ablasshandel. Diese dunklen Kapitel erinnern daran, dass der Weg des Glaubens nicht immer einfach war und ist und dass wir als christliche Gemeinschaft zusammenstehen müssen, um uns gegenseitig zu unterstützen.

In der heutigen Zeit hat das Pilgern eine neue Dimension angenommen. Es ist nicht nur eine religiöse Praxis, sondern auch die Möglichkeit zu sich selbst zu finden. In einer Zeit, die sehr oft von Egoismus und Stress geprägt ist, bietet es eine willkommene Auszeit, um die innere Ruhe und Balance wieder zu finden oder aber auch auszubauen. Es ist eine Gelegenheit, den Alltag hinter sich zu lassen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Für jeden Einzelnen kann das Pilgern eine tiefgreifende Erfahrung sein. Es ermöglicht uns, innezuhalten, nachzudenken und uns mit unseren eigenen Hoffnungen und Ängsten auseinanderzusetzen. Die Gemeinschaft, die wir auf dem Weg erleben, stärkt nicht nur unseren Glauben, sondern auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir teilen nicht nur den Weg, sondern auch unsere Geschichten, unsere Sorgen und unsere Freude.

In der heutigen Zeit leiden sehr viele Menschen unter Burnout oder extremen Stress. In früheren Zeiten war man durch die Sicherung des Lebensunterhaltes und der daraus resultierenden körperlichen Arbeit abends erschöpft und müde und war froh ausruhen zu können. Die Verkürzung der Arbeitszeit und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bescheren uns deutlich mehr Freizeit. Eigentlich sollte man meinen, dass damit die Zufriedenheit steigt. Aber eher das Gegenteil ist der Fall. Wir alle wollen immer schneller immer mehr erleben, schwärmen uns gegenseitig von großartigen Reisen mit straff geplanten Tagesprogrammen, von exklusiven Hobbies und anderen schönen Erlebnissen vor und geraten so in einen Strudel von Neid und Unzufriedenheit. Zusätzlich gibt es keine Handy-freie Minute mehr und die Medien sorgen dafür, dass uns jedes Unglück auf der Welt so präsentiert wird, als wenn es in unserer direkten Nachbarschaft passiert ist. Dazu kommt dann noch die Arbeit, die von Vielen mittlerweile als Last empfunden wird. Wir nehmen uns nicht mehr die Zeit für die dringend notwendige Erholung und unser seelisches Gleichgewicht gerät außer Kontrolle.

Hier kann das Pilgern in Gottes Natur eine wunderbare Gelegenheit für Heilung und Erneuerung sein. Die Schönheit und Ruhe der natürlichen Umgebung bieten oft einen Raum für Reflexion und innere Einkehr. Viele Menschen empfinden beim Wandern durch Wälder, Berge oder an Gewässern eine tiefe Verbindung zur Schöpfung und zu ihrem Glauben. Die Allmacht Gottes wird dabei in der Vielfalt der Pflanzen und Lebewesen überall bewusst.

Wenn wir uns auf den Weg machen, tragen wir nicht nur unsere eigenen Lasten, sondern auch die Hoffnungen und Gebete der Menschen um uns herum oder auch von denen, die sich in unser Gebet befohlen haben. Jeder Schritt wird zu einem Akt des Glaubens und der Hoffnung. Wir sind nicht allein auf diesem Weg; wir sind Teil einer größeren Gemeinschaft von Gläubigen, die alle nach Frieden und Erfüllung suchen.

Das diesjährige Leitthema aller Wallfahrtsorte ist in diesem Jahr „Pilger der Hoffnung“. Ich habe mich gefragt, wie wir auf der Pilgerreise unseres Lebens als „Pilger der Hoffnung“ unterwegs sein können.

Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, gibt es viele Beispiele dafür, dass es besonders in schwierigen Zeiten so war, dass die Menschen trotz erdrückender Ängste und Sorgen nicht resigniert haben.

Ich möchte in diesem Zusammenhang aus dem Kommentar zum Weihnachtsfest 2024 Horst Thoren, Chefredakteur der Rheinischen Post zitieren. Er hat die Weihnachtsgeschichte zu genau dieser Thematik in den Blick genommen und seine Zusammenfassung passt sehr gut hierher. Maria und Josef, heute würde man sagen, eine Familie im sozialen Brennpunkt. Sie schwanger, er wollte Maria verlassen, als er erfährt, dass das Kind nicht von ihm ist. Das Vertrauensverhältnis ist angeknackst, die finanzielle Situation angespannt. Und dann kommt auch noch die vom Kaiser angeordnete beschwerliche Reise nach Bethlehem in der Endphase der Schwangerschaft. Trotz aller Schwierigkeiten halten die beiden zusammen, Maria bringt, wie wir alle wissen, das Kind in einem kalten Stall zur Welt und die ersten Gratulanten sind arme Hirten. Wenn Josef dem Engelswort nicht vertraut hätte, wäre es unweigerlich zur Katastrophe gekommen. Er aber kümmert sich fürsorglich um die Familie und schützt das Kind durch die Flucht nach Ägypten vor den Kindermördern des Herodes.

Weitere gute Beispiele sind die Sorgen und Nöte durch Krieg und Krankheit. Viele unserer Vorfahren waren direkt betroffen. Schauen wir hier auf meinen Opa und meine Oma. Er von 1904, sie von 1911, beide also vor dem ersten Weltkrieg geboren, erleben diese furchtbaren Ereignisse hautnah. Ein Bruder meines Opas stirbt 1916 auf den Schlachtfeldern in Frankreich. Die beiden heiraten Mitte der 1930-er Jahre unter der Herrschaft des Nazi-Regimes und schenken dann in den nächsten 20 Jahren 8 Kindern das Leben. Und das tun sie, obwohl die Umstände in den Zeiten des Krieges und direkt danach sehr schwer einzuschätzen waren. Viele Menschen dieser Zeit hielten wie meine Großeltern zusammen, man half und unterstützte sich und alle hatten immer das Fünkchen Hoffnung in sich, dass sich irgendwie doch alles zum Guten wenden wird. Das hätte ohne das Vertrauen auf Gott und die Unterstützung der heiligen Gottesmutter nicht funktioniert.

Auch Krankheiten spielen zu allen Zeiten eine große Rolle. Waren es früher Seuchen, wie z. B. die Pest, sind es heute Andere, die aber am Ende oft den Tod lieber Angehöriger bedeuten. Jede und jeder Betroffene wird sich immer wieder gefragt haben: Warum gerade ich, warum gerade unsere Familie? Aber auch wenn es während der akuten Phase in diesen Situationen fast undenkbar erscheint, wächst durch den Zusammenhalt und das Vertrauen auf Gott in dieser schweren Zeit eine unvergessliche Kraft, an die wir uns später immer gerne erinnern und die uns im weiteren Leben Kraft gibt. Die oder der Kranke spürt durch unsere Unterstützung und unser Gebet eine Geborgenheit, die hilft, dass Schicksal anzunehmen. Und einen großen Vorteil dürfen wir als Christen dabei nie vergessen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass nach unserem Tod das Beste noch kommt. Der Blick in die Evangelien zeigt uns, dass Gottes Herz immer bei den einfachen und sündigen Menschen war und die sich immer auf ihn verlassen konnten.

Diese Beispiele der Zuversicht auf die Unterstützung Jesu könnte die heutige Gesellschaft zum Vorbild nehmen. Aber eher das Gegenteil ist der Fall. Viele Mitmenschen wenden sich von der Kirche ab. Die Missbrauchsskandale haben sicher viel dazu beigetragen. Im tiefsten Inneren der Menschen ist es aber nach m.E. auch so, dass sie aus ihrer Sicht alles selbst im Griff haben und Gottes Nähe nicht brauchen. Wenn wir aber mit offenen Augen unser Umfeld beobachten, sehen wir aber auch, wie viele mit großen Sorgen und Zukunftsängsten durch das Leben gehen. Oft suchen sie Ablenkung von ihren Nöten durch Alkohol oder andere Drogen oder geben sich in die Hände zweifelhafter Wunderheiler, die für Geld die Lösung aller Probleme versprechen. Auch ich sehe viele Dinge wie Kriege, Vertreibung, die weltweiten Krisen und auch den Klimawandel mit Sorge. Für mich ist es aber immer wichtig gewesen, all meine Ängste im Gebet mit meinem Schöpfer zu besprechen und es hat mir oft sehr gut geholfen. Vertrauen wir auf ihn. Er wird helfen, wenn wir seine Hilfe zulassen.

Meine Frau und ich durften in der Vergangenheit zusätzlich zu unseren Wallfahrtsorten am Niederrhein durch Reisen mit unserer Pfarrgemeinde weitere europäische Pilgerorte kennenlernen. Alle haben eins gemeinsam: Viele Pilgerinnen und Pilger erhoffen sich durch den Besuch dieser heiligen Stätten Hilfe bei vielerlei Problemstellungen. Was dabei auffällt ist, dass man eine tiefe Ehrfurcht wahrnimmt, die bei uns in Deutschland nicht mehr so intensiv zu spüren ist. So konnten wir z.B.  Pilgerinnen und Pilger bei widrigsten Wetterbedingungen und grausamen Straßenverhältnissen dabei beobachten, dass sie barfuß unterwegs waren oder aber die letzten Meter bis zum Allerheiligsten auf Knien rutschend im intensiven Gebet bewältigten. Auch wenn ich persönlich nicht glaube, dass Jesus danach bewertet, zeigen uns diese Menschen aber, dass sie fest an die Existenz Gottes glauben, und sie können uns so bei all unseren Zweifeln ein absolutes Vorbild sein. Und noch etwas zeigt uns der Besuch dieser Orte immer wieder deutlich: Wir sind in unserem Glauben an Jesus Christus nicht allein. Es gibt sehr viele Menschen, die durch den Besuch dieser Orte ihre Batterien wieder aufladen, ihr Leben in Gottes Hände legen, um dann mit frohem Mut und voller Kraft im Alltag zu bestehen.

Zum Abschluss bleibt noch folgendes zu sagen:

Zuversicht, Vertrauen und Hoffnung sind die Grundlage allen Miteinanders – im Kleinen wie im Großen, in Partnerschaft und Familie ebenso wie in Staat und Gesellschaft. Denn aus Zuversicht und Vertrauen erwächst der Mut, den wir brauchen, um angesichts der vielen Krisen um uns herum als „Pilger der Hoffnung“ unterwegs sein zu können. Verzagen wir nicht, vertrauen wir unserem Schöpfer, denn er hat uns gesagt:

„ICH BIN BEI EUCH ALLE TAGE BIS ANS ENDE DER WELT“

Zum Abschluss noch einige wenige persönliche Worte. Im Augenblick ist bei vielen der traditionellen Wallfahrten die Teilnehmerzahl rückläufig. Das bedeutet, dass wir in der Diskussion mit den Genehmigungsbehörden und der Polizei auf immer weniger Verständnis treffen, wenn wir bestimmte Traditionen, wie z.B. das Nutzen einer Fahrbahnbreite auf den Landstraßen für uns einfordern.

Wir als Vorstand können nur das Gerüst für eine erfolgreiche Organisation der Wallfahrt bieten. Zahlreiche positive Rückmeldungen von Euch zu den Veränderungen haben uns gezeigt, dass sie durchaus positiv gesehen werden. Wir können aber nicht allein die Wallfahrt in die Zukunft führen. Jede Einzelne und jeder Einzelne von Euch ist gefordert im Bekannten- und Freundeskreis Überzeugungsarbeit zu leisten. Wenn jeder der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem letzten Jahr eine Neuwerbung im August mitbringt, sind wir schon doppelt so viele wie im vergangenen Jahr.

Wir sehen uns Ende August, bleibt gesund.

Für den Vorstand

Alfons Schmeink